Unsägliches Glück

Leseprobe

Wenn man nur noch eine Träne hätte, worüber würde man sie wohl vergießen?
Sarah saß am Rande des Ziegenstalls. Es roch nach Mist. Der Schatten des kleinen Gebäudes hielt die Mittagshitze ab. Sie dachte nach. Das Stimmengewirr in ihrem Kopf sollte wieder leiser werden, einfach eine kurze Pause machen. Aber es herrschte Aufruhr.
Ta l hatte Nuria wirklich verraten. Nun war sie tot, abgeschlachtet worden. Dabei hatte Nuria nichts getan, sondern einfach etwas gedacht. Einen Gedanken, der so erschreckend war, dass alle davor Angst bekamen. Sie hatte ihn nie ausgesprochen, nur umschrieben, aber bereits das machte Angst. Vielleicht auch deswegen.
Nuria und Sarah waren Freundinnen. Nuria war die klügste von allen, vom ersten Tag an. Doch sie hatte einen traurigen Blick, der sie nie verließ. Deswegen mochte sie Sarah, die mit ihrem Lachen jeden ansteckte.
Ich werde nach Deutschland gehen, ging Sarah durch den Kopf. Dort wohnen die dicksten Menschen in Europa. Das gefiel ihr. Sie wollte auch dick werden. Hat man nicht ein Recht dick zu werden? Es ist vielleicht auch ein Menschenrecht. So wie Nurias Gedanke. Wer bestimmt wohl die Rechte der Menschen?
Sarahs Mutter sagte, die Götter bestimmen den Weg des Schilfs im Wasser. Warum gibt es in Deutschland so viele dicke Schilfhalme? fragte sich Sarah. Wer entscheidet das? Niemand. Da ist niemand mehr. Nuria hatte es ihr erklärt. Es ist eine Maschine, die läuft. Niemand entscheidet. Sie haben eine Maschine gebaut, die einfach läuft. Sind die Erfinder nicht dafür verantwortlich? Sie sind getrieben, hat sie gesagt.
In Deutschland hatte Sarah vor, die Rechte einzusammeln, die Nuria nicht hatte. Dann würde sie sie auf einem Schilfhalm den Horizont hinauf schicken. Das Recht dick zu sein oder das Recht an seine eigenen Götter zu glauben.
Nuria hatte ihr einmal erzählt, dass es Menschenrechte gäbe. Erst musste Sarah sehr lachen. Doch Nuria meinte es ernst. Viele Männer und ganz wenige Frauen haben einmal aufgeschrieben, worauf Menschen ein Recht haben. Nuria erzählte oft komische Geschichten. Das war eine der lustigsten Geschichten von allen. Niemand würde einem Schilfhalm Rechte geben. Warum sollten sich Menschen ein Recht geben? Waren sie nicht gleich vor Gott? Sarah hatte Nuria nie verstanden.

„Unsägliches Glück“

110 Seiten
ISBN-13: 978-1482746563
€ 8,90
Hier kann man das Taschenbuch kaufen

Dateigröße 227 KB
ASIN: B00CIBUCWA
€ 2,88
Hier kann man das eBook kaufen

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